Ihr digitaler Auftritt ist Ihre umfassende Visitenkarte
Die Digitalisierung des Alltags schreitet rasant voran. Stellensuchende, Arbeitgeber und Beratungsinstitutionen sind durch die neuen Medien gefordert. Aber in vielen RAV fehlen die nötigen Kompetenzen.
Angelo Ciaramella ist Leiter Talent Acquisition und Active Sourcing bei Tamedia, Karriere-, und HR-Kommunikationsberater, HR-Dozent und Kernteammitglied eines Zürcher Personalverbandes. Im Schweizer Medienhaus Tamedia ist die digitale Transformation überall hautnah spürbar. Das widerspiegelt sich nicht nur stark im sich schnell verlagernden Medienkonsum auf elektronische Medien. Es zeigt sich ebenso bei der Suche und Findung geeigneter Fachkräfte. Zeitgemässe Rekrutierungsmethoden spielen sich zunehmend online in den unzähligen Netzwerken und Plattformen ab.


Digitaler Auftritt: eine Definition
Unter einer digitalen Identität versteht man die Abbildung der eigenen Personen im World Wide Web. Diese geht über die bekannten Social Media-Plattformen hinaus und beinhaltet ein Vielfaches an Verlinkungen.Grob gesagt gehören zum digitalen Auftritt folgende Attribute: – Selbstdarstellungen – Produktionen und Beiträge – Kommunikation und Kooperation – Vernetzung und Bekenntnisse – Informationen zur Person durch Dritte – Durch Generatoren automatisch erzeugte Profile


Wie wird heute und morgen rekrutiert?
Der Selektionsprozess und die Priorisierung durch die HR-Abteilungen finden zwar noch mehrheitlich traditionell statt, jedoch verlieren Arbeitszeugnisse an Gewicht und Kompetenzen zählen mehr als der reine Werdegang. Die zentralen Aktivitäten in Personalabteilungen bestehen aber verstärkt aus dem aktiven Zugehen auf Personen, der Streuung von Vakanzen in den sozialen Medien, der Nutzung von zielgruppenorientierten Plattformen oder dem Betreiben von Mitarbeiter-Empfehlungsprogrammen. Stark an Boden gewinnt die aktive Talentsuche mittels keywordgesteuerter Suchvorgehen auf Online-Plattformen. Dabei werden Stellenausschreibungen in zielgruppenorientierten Portale oder keywordfokussierte Plattformen gestreut, wo sie sich direkt an die für die Vakanz spannende Nutzer richten. Damit reduziert man den Streuverlust und erreicht gleichzeitig Personen, die nicht auf Stellensuche sind – aber an der Ausschreibung Interesse finden dürften. Immer häufiger bauen Firmen auch Talentpools auf; hierbei werden Personenprofile gesammelt, die in Zukunft für die Besetzung von Vakanzen interessant werden könnten. Schliesslich wird Mobile Recruiting von zentraler Bedeutung. Google rechnet damit, dass wir bereits im 2017 über 50 Prozent unserer Online-Aktivitäten via Smartphone abwickeln, weg vom Laptop und Desktop. Dabei wird auch der Bewerbungs, und Rekrutierungsprozess gehören.

Ihr digitaler Auftritt ist Ihre Verkaufsfläche
Man kann, vielleicht überspitzt, sagen, dass bereits heute ein Restaurant oder eine kleine Firma, die online nicht gefunden werden können, nicht existieren. Diese hohe Wichtigkeit eines digitalen Auftrittes gilt nicht nur für Dienstleister, sondern auch für Menschen. Und es betrifft bei weitem nicht mehr nur Fachkräfte aus Branchen wie der Informationstechnologie oder Dienstleistungen; auch der Maurer oder die Floristin tun gut daran, sich online zu präsentieren. Dieser Marktplatz mit immenser Erreichbarkeit will sinnvoll genutzt werden. Daher ist ein digitaler Auftritt unumgänglich. Als stellensuchende Person tut man erst recht gut daran, diesen aktiv und attraktiv zu halten. In der Produktsprache spricht man von «USPs», unique selling propositions, sogenannten Alleinstellungsmerkmalen. Das eigene Können und Wissen so darzustellen, dass man auf dem beruflichen Marktplatz gekauft werden will ist der Kern einer beruflichen digitalen Identität. Anders gesagt die Selbstdarstellung muss ausgewogen zwischen Markt- und Personenzentriertheit erfolgen.Viele Leute sind überzeugt, dass sie ihren Bewerbungsauftritt wie Lebenslauf selber erstellen können. Ein weit verbreiteter Irrtum, weil es der heutigen Bewerbungswissenschaft bei weitem nicht mehr genügt. Sie mögen fachlich hochqualifiziert sein, aber die Erfahrung der letzten Stellensuche liegt 6 Jahre zurück – zu lange, um noch Bestand zu haben. Oft sind die Bewerbungsschreiben oder Lebenslauf zu wenig akkurat auf die gesuchten Kompetenzprofile ausgerichtet. Und meist sind es Kleinigkeiten, die entscheiden: Mit einer Mailadresse wie kuschelkatze72@hotmail.com sollte man nicht auf Stellensuche gehen.


RAV: Weiterbildung tut not
Wer also seinen digitalen Marktauftritt in Angriff nehmen möchte und dafür seine Dokumente überarbeitet, tut gut daran, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Qualifizierte Beratungen findet man etwa in spezialisierten Karriereagenturen oder Outplacement-Firmen; die man kritisch auf ihre digitalen Kompetenzen prüfen sollte. Für einen Rundumservice ist mit Kosten von 500 bis 1000 Franken zu rechnen. Ebenfalls entsprechende Dienstleistungen anbieten sollten die RAV. Ihnen fehlt jedoch mehrheitlich die marktnahe Kompetenz und Erfahrung zu digitalen Fragen oder Social Media, wie ich während meiner RAV-Tätigkeit als Berater sowie interne Ansprechperson für digitale Themen feststellen musste. Das Gleiche stellte ich genauso bei den staatlich submissionierten Institutionen fest, die mit den RAV’s zusammenarbeiten. Aus meiner Sicht müssen zu dem komplexen Thema der digitalen Identität tiefgreifende Weiterbildungen der Beratungspersonen stattfinden. Die Kompetenz- und Anforderungsprofile der RAV-Beratenden und Anbieter von arbeitsmarktlichen Massnahmen müssten den Umgang mit den Anforderungen der digitalen Welt unbedingt beherrschen. Ansonsten sind Ihre Dienstleistungen veraltet und für Stellensuchende vieler Berufsgruppen nicht marktgerecht und hilfreich. Das wiederum steht dem Auftrag der raschen, nachhaltigen Wiedereingliederung entgegen.

Autor: Angelo Ciaramella
Erschienen in der HR Ausgabe Panorama Schweiz
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